Leipziger Wohnungsgenossenschaften sehen soziales Wohnen und Klimaziele in Gefahr
Die Leipziger Wohnungsgenossenschaften erfüllen auch in Zukunft ihren sozialen Auftrag. Die durchschnittliche Kaltmiete aller Leipziger Genossenschaften lag im Jahr 2022 bei 5,54 Euro und damit mehr als einen Euro unter dem Leipziger Gesamtdurchschnitt von 6,60 Euro. Bis zum Jahr 2023 stieg die durchschnittliche Kaltmiete der Genossenschaften auf 5,68 Euro. Die Gesamtdaten für Leipzig liegen gegenwärtig (Mitte Mai 2024) noch nicht vor, dürften jedoch deutlich stärker angestiegen sein.
Mit 48.000 Wohnungen und einem Marktanteil von 14 Prozent sind die Leipziger Wohnungsgenossenschaften nicht nur der größte Vermieter der Stadt, sondern auch eine wirksame Mietpreisbremse. Die niedrigen Mieten der Genossenschaften fließen in den Mietspiegel der Stadt ein und dämpfen entsprechend die ortsüblichen Vergleichsmieten.
Die Mietsteigerungsrate seit 2018 beträgt im Schnitt 2,5 Prozent pro Jahr. Bis 2021 war die Inflationsrate in Deutschland im Durchschnitt etwa gleich groß. Dadurch stagnierten die Mieteinnahmen der Genossenschaften (und die Kaltmietbelastung ihrer Mitglieder und Mieter) trotz stetig steigender Kosten. Seit 2021 explodieren jedoch die Kosten der Genossenschaften und entkoppeln sich dramatisch von der Mietentwicklung. So stieg die allgemeine Teuerung von 2021 auf 2022 um etwa sechs Prozent; von 2022 auf 2023 sogar um neun Prozent.
Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Bezugnehmend auf die Baukosten mussten zum Beispiel für die Wiederherrichtung einer 65 m² großen Musterwohnung zum Zwecke der Neuvermietung im Jahr 2019 noch circa 10.000 Euro aufgewendet werden, während es im Jahr 2024 teilweise bereits über 21.000 Euro sind – eine Steigerung auf 210 Prozent. Die Neuvertragsmieten stiegen im selben Zeitraum jedoch nur um elf Prozent. Eine ähnliche Kostenentwicklung zeigt sich bei Instandhaltung, Sanierung und Neubau.
Ein wesentlicher Kostentreiber ist die Stadt Leipzig selbst geworden. Während die Genossenschaftsmieten von 2018 bis 2023 um 13,9 Prozent stiegen, verlangte die Stadt Leipzig für Müllentsorgung im gleichen Zeitraum 19,6 Prozent mehr. Die Gebühr für die Niederschlagswasserentsorgung stieg um 22,2 Prozent und Wasser- / Abwassergebühren erhöhten sich zusätzlich um 17,7 Prozent. Auch bei Neubau- und Sanierungsprojekten erhebt die Stadt Leipzig hohe Gebühren. So wurden für ein genossenschaftliches Sanierungsvorhaben mit 130 Wohnungen allein 100.000 Euro an Gebühren erhoben.
Zusätzlich werden die Genossenschaften und ihre Mitglieder durch die Kosten für Heizung und Warmwasser unter enormen Druck gesetzt. Diese stiegen von 2018 bis 2023 ebenso überproportional zur Mietentwicklung um 17,5 Prozent. Diese Entwicklung beschleunigt sich derzeit immer stärker. So werden die Heiz- und Warmwasserkosten allein im Zeitraum eines Jahres – von 2023 auf 2024 – um 45(!) Prozent steigen. Eine Familie, welche mit zwei Kindern in einer 90 m² großen Wohnung lebt, muss somit einen Anstieg der Nebenkosten von 2.387 Euro auf 3.243 Euro innerhalb nur eines Jahres bewältigen. Dies führt zu einer monatlichen Mehrbelastung von 71,33 Euro beziehungsweise 0,79 Euro pro m².
Diese Nebenkosten sind nicht nur für die Mieter eine enorme Zusatzbelastung. Sie bedeuten für den Vermieter Wohnungsgenossenschaft: Selbst die für Bestandserhaltung und -entwicklung erforderlichen Mietanpassungsmöglichkeiten können nicht mehr realisiert werden. Sie sind für die Mitglieder / Mieter vor dem Hintergrund der hohen Nebenkosten nicht mehr leistbar. Dadurch begrenzt der Anstieg der Nebenkosten neben der allgemeinen Preissteigerung die finanziellen Spielräume der Wohnungsgenossenschaften, die maßgeblich auf eine solide wirtschaftliche Grundlage angewiesen sind, um ihre gemeinwohlorientierten Ziele zu verfolgen.
Diese Entwicklungen setzen den investiven Möglichkeiten der Leipziger Wohnungsgenossenschaften immer härtere Grenzen. Infolgedessen wird es immer schwieriger, den Ausstattungsstandard von Wohnungen bei Neuvermietung aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig ist auch der Wohnungsneubau nicht mehr in erforderlichem Umfang realisierbar, da die Kosten für Neubauprojekte so hoch sind, dass eine wirtschaftliche Umsetzung bei gleichzeitiger Einhaltung sozial verträglicher Mietkonditionen nicht möglich ist. Dies führt zu einem Dilemma für Wohnungsgenossenschaften, die sich an ihren gemeinwohlorientierten Prinzipien orientieren. Insgesamt wird sich die Situation bezüglich der Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum im unteren Preissegment weiter verschärfen.
Völlig illusorisch scheint unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Erfüllung der ambitionierten Klimaziele von Bund und Stadt für den genossenschaftlichen Gebäudebestand.
Stadtrat und Stadtverwaltung fordern zu Recht bezahlbaren Wohnraum sowie Klimaschutz im Gebäudesektor. Jedoch klafft aktuell eine deutliche Lücke zwischen diesem Anspruch und dem kommunalen Handeln bei Ratsbeschlüssen, Verwaltungsarbeit und in kommunalen Eigenbetrieben.
Bundespolitische Herausforderungen und volkswirtschaftliche Fragen können nicht in Leipzig gelöst werden. Leipzig besitzt jedoch genügend eigene Hebel, um durch Kostenreduzierung bezahlbares Wohnen zu unterstützen:
- die Reduzierung kommunaler Gebühren und Abgaben
- die Verkürzung der Dauer von Genehmigungen und Verwaltungsprozessen
- die Abfederung der Kosten für die Wärmewende durch die Stadtwerke Leipzig
Um die sich abzeichnenden sozialen Konflikte beim Thema Wohnen zu bewältigen, muss Wohnen in allen sogenannten Zielkonflikten priorisiert werden. Stadtrat und Stadtverwaltung müssen dabei beachten, dass Wohnen unter anderem ein Wirtschaftsgut ist und alle Entscheidungen auf sämtliche Kosten des Wohnens zu prüfen sind.
Völlig kostenneutral lässt sich ein notwendiger kultureller Wandel zu einer Atmosphäre der Ermöglichung gestalten, die Leipzig bereits einmal ausgezeichnet hat.