Die sechs Irrtümer der ESG-Transformation
Die Baubranche ist im Wandel: Immer weniger Neubauten entstehen, das Bauen im Bestand gewinnt immer weiter an Bedeutung. Besondern bei Umbauten oder Revitalisierungen von Bestandsgebäuden spielen ESG-Auflagen eine wichtige Rolle. Doch im Feld der nachhaltigen Bestandtransformationen halten sich einige Irrtümer hartnäckig. Daniel Gerdelmann, Leiter ESG & Sustainability bei apoprojekt, klärt über die sechs größten Irrtümer der ESG-Transformation auf und sagt: „Die Frage, wie sich Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit verbinden lassen, ist für den Kunden am wichtigsten.“
Die sechs Irrtümer der ESG-Transformation
- Ein Goldstandard bei Zertifizierungen ist das Nonplusultra.
„Silber ist das bessere Gold“. Je höher ein Zertifizierungsgrad ist, desto höher wird der Anteil von Technik, Materialität und Aufwand und damit steigen der Ressourcenverbrauch („Graue Emissionen“) und auch die Baukosten, wobei der Energieverbrauch im laufenden Betrieb nicht signifikant gesenkt wird. Leitfrage sollte hierbei sein: Was ist das richtige Verhältnis von Grauen Emissionen, Energieeinsparungen und Wirtschaftlichkeit? Und welchen Standard verlangt der Markt, der Mieter?
- Eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach ist entscheidend.
Nein, denn hier müssen die “Grauen Emissionen” betrachtet werden: Eine PV-Anlage auf dem Dach eines Bürogebäudes zu installieren wird sich in Sachen CO2-Ausstoß nur sehr schwer amortisieren, dies steht in Abhängigkeit der Fläche. Der grüne oder nachhaltige Strom aus der Steckdose ist also entscheidender als die PV-Anlage auf dem Dach. Bei den neueren, effizienteren PV-Anlagen muss wiederum beachtet werden, ob die hohen Kosten den Einsatz rechtfertigen – sprich, ob der Einsatz wirtschaftlich ist.
- Viel hilft Viel.
Nein, viel hilft nicht immer gleich viel. Bei der ESG-Transformation muss nicht alles Machbare optimiert werden. Es ist entscheidend, die passende Maßnahme einzubauen, die zur Strategie und zum Gebäude passt und alle drei Säulen der Nachhaltigkeit betrachtet: Ökonomie, Ökologie und Soziales.
- ESG-Maßnahmen sind kostspielig.
Nein, die Umsetzung von ESG-Maßnahmen an sich stellen einen vergleichsweise geringen Kostenfaktor dar. Die Umfeldmaßnahmen, die nötig sind, um die Maßnahmen umzusetzen, machen einen bedeutend größeren Teil aus und treiben die Kosten in die Höhe. Dazu gehören unter anderem Brandschutzmaßnahmen, Trockenbau und Malerarbeiten.
- Kostensicherheit ist der wichtigste Punkt bei ESG-Maßnahmen.
Nein, gerade auch die rechtliche Sicherheit spielt bei ESG-Maßnahmen eine ebenso große Rolle wie die Kostensicherheit. Eine rechtliche Sicherheit ist auch hinsichtlich bestehender Regelungen (wie der CSRD-Berichterstattungspflicht oder der EU-Taxonomie), die Kunden erfüllen müssen, für diese zunehmend von Bedeutung. Hinzu kommt, dass bei CRREM Konformität die Endenergie des Gebäudes betrachtet werden muss und die Fläche im Format IPMS2. Hier sehen wir immer noch unglaublich viele Fehler.
- Kreislaufwirtschaft ist bereits ein relevanter Faktor.
Nein, eine Kreislaufwirtschaft ist momentan noch mehr Wunsch als Realität und oftmals (noch) nicht viel mehr als Greenwashing. Es besteht de facto noch kaum Recyclingfähigkeit von Produkten. Die erneute Nutzung von zuvor verwendeten Materialien beschränkt sich durch Garantie und Gewährleistungsansprüche bis jetzt noch fast ausschließlich auf den privaten Markt. Damit ein Vergleich aller Materialien zukünftig möglich ist, müssen die Hersteller alle ökologischen Angaben (EPD) ihrer Produkte zur Verfügung stellen.