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Unter Druck: Zinsen und Materialkosten treiben Defaults im Bau- und Immobiliensektor

Neuss, 04.10.2024
Defaults im deutschen Bau- und Immobiliensektor sind deutlich gestiegen

Die Bau- und Immobilienbranche in Deutschland sieht sich mit gravierenden Herausforderungen konfrontiert. Hohe Finanzierungskosten und gestiegene Baupreise belasten den Sektor enorm. Gleichzeitig eröffnen die von uns prognostizierten Zinssenkungen sowie die sich allmählich abzeichnende Bodenbildung bei Wohnimmobilienpreisen mittel- bis langfristig Perspektiven für eine Erholung der Branche. Entscheidend wird sein, wie gut sich Bauunternehmen an die veränderten makroökonomischen Bedingungen anpassen können und effiziente Strukturen schaffen, um in einem volatilen Umfeld widerstandsfähig zu bleiben.

Makroökonomischer Gegenwind belastet die Branche

Die gesamtwirtschaftliche Lage in Deutschland bleibt im Jahr 2024 angespannt, was sich in unserer BIP-Wachstumsprognose von lediglich 0,1% widerspiegelt. Diese Stagnation lässt sich auf eine Kombination aus hoher Inflation, einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen und einer schwachen Inlandsnachfrage zurückführen Besonders betroffen ist der Bausektor, der in hohem Maße auf Fremdkapitalfinanzierungen angewiesen ist. Hier wirken sich die makroökonomischen Belastungen besonders stark aus.

Die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle. Trotz der Zinssenkung der EZB, die den Hauptrefinanzierungssatz am 12. September 2024 auf 3,65% gesenkt hat, ist das Zinsniveau nach wie vor hoch und stellt insbesondere kleinere Bauunternehmen, die über eine geringere finanzielle Flexibilität verfügen, vor erhebliche Herausforderungen.

Zudem resultiert aus den gestiegenen Energiepreisen und Materialkosten ein erhöhter Druck auf die Bauunternehmen, welcher durch neue Anforderungen hinsichtlich Regulierungen und Gesetzesinitiativen, wie dem Gebäudeenergiegesetz, weiter verstärkt wird. Ein wesentlicher Faktor, der zu den Kostensteigerungen beiträgt, sind die durch den Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Sanktionen verursachten Versorgungsengpässe bei Energie, insbesondere Erdgas, sowie bei wichtigen Baumaterialien wie Stahl und Aluminium. Die anhaltenden geopolitischen Spannungen haben zu erheblichen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten geführt, was die Baukosten zusätzlich erhöht hat.

Empirische Ausfallraten im Fokus

Die Jahre 2020/2021 waren durch die Covid-19-Pandemie und die damit verbundenen substanziellen Hilfsmaßnahmen geprägt, welche die Ausfallraten in vielen Branchen künstlich niedrig hielten. Ab 2022 zeigten sich die Risiken jedoch deutlicher, was sich insbesondere in den gestiegenen empirischen Ausfallraten in der Bau- und Immobilienwirtschaft im Jahr 2023 und 2024 widerspiegelt.

Im Rahmen dieser Analyse erfolgt eine Darstellung der einjährigen Ausfallraten. Demnach werden Unternehmen als ausgefallen definiert, die bspw. zum Stichtag 30.06.2024 einen Zahlungsverzug oder ein hartes Negativmerkmal, z. B. in Form eines Insolvenzverfahrens, aufweisen, jedoch ein Jahr zuvor, zum 30.06.2023, als zahlungsfähig eingestuft wurden.

Besorgniserregende Trends im Baugewerbe setzen sich fort

Die Ausfallrate im Hochbau erfuhr einen Anstieg von 1,57% im Jahr 2020 auf 2,29% im Jahr 2023 und erreichte Mitte 2024 einen Wert von 2,49%. Des Weiteren liegt die Ausfallquote im Hochbau deutlich über dem Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 (1,90%). Dies verdeutlicht die spezifischen Herausforderungen, denen die Branche gegenübersteht. Dazu zählen insbesondere gestiegene Zinsen, hohe Baukosten sowie eine zunehmende Zurückhaltung bei der Projektfinanzierung. Der signifikante Anstieg der Ausfallrate im Hochbau verdeutlicht die hohe Sensitivität der Finanzierungsbedingungen in diesem Sektor.

Auch im Tiefbau ist ein signifikanter Anstieg der Ausfallraten zu verzeichnen, von 1,51% im Jahr 2020 auf 2,69% Ende des zweiten Quartals 2024. Dies stellt den höchsten Wert unter den Wirtschaftszweigen der Bau- und Immobilienbranche dar. Im Besonderen ist im ersten Halbjahr 2024 ein signifikanter Anstieg der Ausfallgefahr zu verzeichnen. So hat sich der Anteil ausgefallener Unternehmen des Tiefbaus seit Ende des vergangenen Jahres um 0,49 Prozentpunkte erhöht. Die gestiegenen Material- und Energiekosten, die maßgeblich auf durch den Ukraine-Krieg verursachte Engpässe in den globalen Lieferketten zurückzuführen sind, haben die Margen im Tiefbau reduziert, was diesen Sektor anfälliger für Ausfälle macht.

Die Ausfallrate im Ausbaugewerbe stieg von 1,35% im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie auf 2,11% Mitte 2024. Unternehmen, die vorbereitende Baustellenarbeiten und Bauinstallationen durchführen, sind gleichermaßen stark von volatilen Rohstoffpreisen und dem Rückgang der Bauaktivität betroffen. Die starke Abhängigkeit des Ausbaugewerbes von kurzfristigen Projekten führt in Verbindung mit den unsicheren Investitionsbedingungen in den Jahren 2023 und 2024 zu einer zunehmenden Belastung. Es erscheint bemerkenswert, dass sich das Grundstücks- und Wohnungswesen mit einer Ausfallrate von lediglich 1,51% nach der ersten Jahreshälfte 2024 als vergleichsweise resilient erweist und aktuell die niedrigste Ausfallquote unter den von uns analysierten Wirtschaftszweigen der Bau- und Immobilienbranche aufweist. Doch während der Sektor lange als sehr stabil galt, ist er nun mit höheren Zinsen konfrontiert. Dies stellt das Grundstücks- und Wohnungswesen vor Herausforderungen. Dementsprechend hat sich die Ausfallrate unter den Mietwohnungsunternehmen und Projektentwicklern zwischen 2021 (0,78%) und Mitte 2024 nahezu verdoppelt.

Hoch und Tiefbau liegen deutlich über dem branchenübergreifenden Durchschnitt

Ein Vergleich der Ausfallrate der Gesamtwirtschaft mit der Entwicklung in der Bau- und Immobilienbranche zeigt, dass in diesen Bereichen eine vergleichsweise starke Zunahme der Ausfälle zu verzeichnen ist. Der Anteil ausgefallener Betriebe belief sich branchenübergreifend Mitte 2024 auf 1,63 %. Demgegenüber weisen die Ausfallraten im Hochbau (2,49 %), im Tiefbau (2,69 %) sowie im Ausbaugewerbe (2,11 %) deutlich höhere Werte auf. Diese Zahlen liegen allesamt über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt und reflektieren die spezifischen Herausforderungen, die in diesen Sektoren vorherrschen.

Auch das Grundstücks- und Wohnungswesen zeigt mit einer Ausfallquote von 1,51 % eine Annäherung an den gesamtwirtschaftlichen Benchmark, was die zunehmende Ausfallgefahr in diesem Sektor verdeutlicht.

Der signifikante Rückgang der Bautätigkeit sowie die sinkende Nachfrage nach Baukrediten verdeutlichen, dass die Bauwirtschaft derzeit einem beträchtlichen Druck ausgesetzt ist. Der Wohnungsbau, vormals ein maßgeblicher Wachstumsmotor, fungiert gegenwärtig eher als Bremsklotz. Diese Entwicklung wird durch den ausgeprägten Rückgang der Wohnungsbaugenehmigungen und Auftragseingänge bestätigt. Die Bauinvestitionen sind real rückläufig. Kurzfristig ist nicht mit einer Entspannung der Lage zu rechnen. Insgesamt sollten die Herausforderungen durch gestiegene Baukosten, Materialpreise und eine verlangsamte Bautätigkeit weiterbestehen und könnten bis ins Jahr 2025 hinein anhalten.

Verwundbarkeit der Bauwirtschaft: Sektorale Unterschiede

Die empirischen Ausfallraten von 2023 und Mitte 2024 veranschaulichen die signifikant höhere Verwundbarkeit der Bau- und Immobilienbranche im Hinblick auf gegenwärtige Belastungsfaktoren. Insbesondere der Vergleich mit der gesamtwirtschaftlichen Ausfallrate verdeutlicht, dass die spezifischen Herausforderungen der Bauwirtschaft, insbesondere im Hoch- und Tiefbaugewerbe, zu deutlich höheren Ausfallraten führen.

Die sektoralen Unterschiede lassen sich maßgeblich auf verschiedene externe Einflussfaktoren zurückführen. Der Hochbau reagiert besonders sensibel auf Zinserhöhungen und deutliche Projektkostensteigerungen. Der Tiefbau zeigt eine höhere Resistenz gegenüber kurzfristigen Finanzierungskosten, ist aber von starken Mate- rialkostensteigerungen betroffen. Das stärker von kurzfristigen Aufträgen abhängige Ausbaugewerbe ist dagegen deutlich volatileren Bedingungen ausgesetzt. Das auf den ersten Blick stabilere Grundstücks- und Wohnungswesen zeigt aufgrund der hohen gesamtwirtschaftlichen Zinsbelastung erste Schwächen bei der Refinanzierung von Projektentwicklungen.

Anhaltender Druck und Anpassungsbedarf

Für das Jahr 2024 ist davon auszugehen, dass sich die Risiken in diesen Sektoren weiter erhöhen. Dies ist auf die anhaltende Zinsbelastung und die nachlassende Nachfrage zurückzuführen. Wir erwarten, dass die EZB den Hauptrefinanzierungssatz bis Mitte 2025 auf 2,9% senken wird, was mittelfristig zu einer Entspannung der Lage führen könnte. Kurzfristig stellen die hohen Zinsen jedoch eine signifikante Belastung dar, welche sich auf die Investitionstätigkeit im Bauwesen auswirkt.

Investoren und Kreditgeber sind daher gefordert, ihre Risikoeinschätzungen entsprechend anzupassen und die Ausfallrisiken vor dem Hintergrund der branchenspezifischen Entwicklungen genau zu beobachten. Gleichzeitig werden auch andere Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette, wie Entwickler, Manager und Baugewerke, ihre Risikomanagementstrategien überprüfen müssen. Dazu gehört unter anderem die Implementierung strengerer Risikokontrollen und das Einfordern höherer Cost Overrun Guarantees, um sich besser gegen unerwartete Kostensteigerungen abzusichern.

Autor: Dr. Benjamin Mohr, Mitglied der Geschäftsleitung, Creditreform Rating