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Wir brauchen eine mehrdimensionale Strategie für den Wohnungsmarkt

Ein Kommentar von Jan Hase, Co-Founder und CEO von Wunderflats

Berlin, 04.09.2024
Jan Hase, Co-Founder und CEO von Wunderflats.

Aktuell gibt es in nachgefragten Ballungszentren einen fast kompletten Marktstillstand im Bereich der Mietwohnungen. Davon spricht man, wenn weniger als 0,5 Prozent des Bestands frei ist. In Berlin beläuft sich der Wert aktuell sogar auf lediglich 0,3 Prozent. Dafür gibt es nicht nur eine, sondern gleich mehrere zugrunde liegende Entwicklungen, die sich unglücklicherweise auch noch gegenseitig verstärken.

So ist die Bevölkerung in Deutschland in den vergangenen acht Jahren sprunghaft um circa drei Millionen Menschen gewachsen. Demgegenüber steht eine historisch niedrige Fertigstellungsquote von neuen Wohnungen. Das politische Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen, wird in den kommenden Jahren bei weitem nicht erreicht. Allerdings haben sich auch die Wohngewohnheiten der Bevölkerung in den vergangenen 50 Jahren stark verändert. So gilt es, bei erwachsenen Haushaltsmitgliedern inzwischen als „Überbelegung“ einer Wohnung, wenn nicht jedem zusätzlich zu einem Gemeinschaftsraum ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Somit hat sich der Quadratmeterverbrauch pro Kopf von unter 30 auf 47,4 Quadratmeter erhöht. Dazu kommt eine Quote von 40 Prozent Singlehaushalten, die überproportional viel Wohnfläche aufweisen. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen, ist der gestiegene Bedarf an Wohnraum von ausländischen Fachkräften, deren Zuzug mit Blick auf den Fachkräftemangel zwingend erforderlich ist. Im Ergebnis steht ein sich immer weiter vergrößernder Nachfrageüberhang bei immer langsamer wachsendem Angebot, was zwangsweise zu Verteilungskonflikten und emotionalen Diskussionen führt.

Leider werden dabei – auch von der Politik – die verschiedenen Nachfragegruppen gegeneinander ausgespielt. Da sind zum einen Einwohner, die „lokale“ Bevölkerung, die in der Nähe der Familie, des Arbeitsplatzes oder schlicht in einer attraktiven Großstadtlage leben möchten. Auch Geflüchtete, aktuell beispielsweise aus der Ukraine, drängen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen ebenfalls in den unbefristeten Wohnungsmarkt. Daneben gibt es die Fach- und Projektkräfte, die aus In- und Ausland für eine begrenzte Zeit eine Wohnmöglichkeit benötigen. Temporäre Bedarfe entstehen allerdings auch aufgrund von Naturkatstrophen, wie beispielsweise der Flut im Ahrtal oder zeitweilig unbewohnbaren Wohnungen aufgrund von Sanierungen oder Wohnungsbränden. Schließlich fragen auch Touristen zunehmend Wohnungen nach, da dies gerade für Familien bequemer und oft unkomplizierter als eine Unterbringung in Hotels oder Pensionen ist.

Diese Bedarfe sind für sich genommen allesamt legitim, führen in Summe jedoch zu einer aktuell nicht zu bewältigenden Nachfrage nach Wohnraum. Um die Versorgung mit Wohnraum für die erste Gruppe, die lokalen Einwohner, zu gewährleisten, setzen viele Kommunen mittlerweile auf Zweckentfremdungsverordnungen, die eine touristische Vermietung von Wohnraum einschränken. Dabei gilt es jedoch, regulatorisch darauf zu achten, dass das Angebot für die nicht minder wichtige Nachfragegruppe, die Fachkräfte und Menschen mit temporärem Bedarf nach Wohnraum, nicht zu stark eingeschränkt wird. Das kann passieren, wenn die Definition von Zweckentfremdung zu weit gefasst wird und beispielsweise eine temporäre Anmietung einer möblierten Wohnung für acht Monate nicht mehr zulässig wäre. Leider erfolgt gerade diese Differenzierung in der Praxis oft nicht sachgerecht, da nicht sauber zwischen touristischer Ferienwohnungsvermietung und temporärem Wohnen – wir nennen das Zeitwohnen – unterschieden wird. Zeitwohnen ist der rechtlichen Definition nach nämlich „echtes Wohnen“: mit Anmeldung eines Wohnsitzes, Klingelschild und Verlegung des Lebensmittelpunktes, mit Katze, Partner und eigener Bettwäsche.

Doch wie sieht es auf dem Markt tatsächlich aus? Verdrängen Ferienwohnungen und temporäres Wohnen in möblierten Wohnungen die reguläre unbefristete Vermietung?

Man könnte das annehmen, denn viele Berichte1 sprechen aktuell davon, dass jede zweite Wohnung nur noch möbliert oder als Ferienwohnung angeboten wird. Hier braucht es dringend einen Faktencheck. Denn diese Berichte spiegeln nicht annähernd den Gesamtmarkt wider. Die Datengrundlage solcher Berichte umfasst meist nur eine große Online-Plattform und blendet damit mehrere Aspekte aus: zunächst wird nur ein Bruchteil der Mietwohnungen in Deutschland auf vergleichsweise hochpreisigen Plattformen angeboten, das Gros der Wohnungen wird auf kostenfreien Portalen oder im Falle von großen Wohnungsunternehmen auf eigenen Plattformen annonciert. Dazu werden viele Mietwohnungen in Metropolen ohnehin nicht inseriert, da diese vom ausziehenden Mieter längst an Bekannte vermittelt wurde. Auch findet adverse Selektion statt, da hochpreisige möblierte Wohnungen sowohl länger als auch mehrfach pro Jahr online sind, unmöblierte unbefristet anzumietende Wohnungen meist tagesgleich wieder offline gehen. Ebenfalls verzerrend wirkt auch die Vermischung von touristischer Ferienwohnungsvermietung mit befristeter möblierter Vermietung. Betrachtet man die tatsächlichen Anteile möblierter Vermietung am Gesamtbestand der Wohnungen bzw. Mietverhältnisse, so liegt diese auch in Metropolregionen wie Berlin meist im sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Was braucht es also, um die Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt anzugehen?

Zunächst sollten einzelne Nachfragegruppen nicht gegeneinander ausgespielt und auch Vermieter nicht dämonisiert werden – wenngleich das im kommenden Bundestagswahlkampf natürlich verlockend sein dürfte. Die größte Stellschraube ist das Angebot. Wohnungsneubau in den nachgefragten Regionen und vor allem zu bezahlbaren Preisen führt ganz von alleine zu einer Entspannung auf dem Markt – und reduziert damit auch den Preisdruck. Neubau kann auch kreativ gedacht werden: So sollten bestehende Ausbaupotentiale gehoben und smarte Lösungen wie die Schaffung von Wohnraum über Supermarktgebäuden oder der Umbau von nicht nachgefragten Büroflächen zu Wohnraum entwickelt werden. Flankierend sollte der bestehende Wohnraum auf die effizientmöglichste Weise genutzt werden. So kann die Nachfrage nach temporärem Wohnraum durch passgenaue Anmietung von möblierten Wohnungen bedient werden. Auf diese Weise wird Leerstand aufgrund von Kündigungsfristen sowie wenig nachhaltige Neueinrichtungen mit Möbeln und mit teuren Umzügen von ganzen Hausständen verhindert. Gerade für die temporäre Vermietung, das Zeitwohnen, braucht es jedoch klare Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer. Nach dem Vorbild Frankreichs könnte es beispielsweise einen eigenen, neuen Mietvertragstyp „Zeitwohnen“ geben, der mit passgenauen rechtlichen Regeln, Rechten und Pflichten für Mieter und Vermieter, für mehr Transparenz und Sicherheit sorgt. So könnte etwa eine Aufstellung der Bestandteile der Inklusivmiete für eine bessere Vergleichbarkeit und die Verhinderung von Missbrauch genutzt werden. Die Branche denkt heute schon über eine Nachhaltigkeitsampel für Wohnraum auf Angebotsplattformen nach.

Im Ergebnis gilt es festzuhalten, dass ein komplexes Problem nicht durch einfache, populistische Maßnahmen zu lösen ist. Vielmehr braucht es einen klugen, mehrdimensionalen Ansatz, der zum einen das Angebot verbessert, zum anderen die Vorteile eines effizienten Marktes zur Steuerung der Nachfrage nutzt und dabei idealerweise auch noch die Nachhaltigkeit im Gebäudesektor berücksichtigt.

1 – Siehe z. B.: https://www.capital.de/immobilien/mietwucher-mit-moeblierten-wohnungen-33259548.html